Der kleine blaue, metallene Kuckuck

Bleibt alles anders? Corona hat etwas verändert, es polarisiert. Ohne es bewerten zu wollen. Ich kenne niemanden, der oder die keine Meinung zu diesem Thema hat. Ein Teil unseres Lebens wird nach dieser Krise garantiert nicht mehr so sein, wie es vorher war.

Dieser zweite Shutdown ist für Einige anstrengender, zehrender als der erste. Aber wieso ist das so? Die einen leiden darunter, andere wiederum stehen dem Ganzen positiv gegenüber und freuen sich über die plötzlich zur Verfügung stehende Zeit bzw. darüber, dass endlich alles wieder etwas ruhiger ist. 

Das Wetter spielt eine große Rolle, wenn es darum geht, ob wir uns eingesperrt fühlen oder nicht. Die Motivation bei kaltem, regnerischen oder bei uns oft windigen Wetter nach draußen zu gehen, um sich körperlich oder psychisch zu regenerieren (wie es so schön heißt), hält sich zugegebenermaßen bei vielen uns in Grenzen. Dabei benötigen wir gerade jetzt – in einer Zeit, in der wir zu viele Stunden zu Hause verbringen – wieder den Horizont vor Augen. Erweitern wir im übertragenen Sinne doch auch unseren inneren Horizont. Wie sonst, sollten wir das langersehnte Licht am Ende dieses mühsamen Weges sehen?

In herausfordernden Zeiten ist es durchaus eine Überlebensstrategie Schritt für Schritt vorwärts zu gehen, immer eines nach dem anderen zu erledigen – step by step. Wenn wir nichts sehen, weil es dunkel ist – fahren wir einfach auf Sicht, ganz klar. Irgendwann geht aber auch die dunkelste und längste Nacht zu Ende. Was aber, wenn wir gar nicht bemerken, dass die Morgendämmerung schon längst eingesetzt hat und wir noch immer im Blindflug unterwegs sind?

Sehr viele Menschen haben Angst ihr eigenes Handeln zu reflektieren, ihre Themen – wie man so schön sagt – anzusehen. Ich nehme mich hier gar nicht aus. Es ist nicht immer schön, seinen inneren Abgründen zu begegnen. Viel leichter ist es, alles zu Verdrängen. Solange es funktioniert und keine Schäden zu beklagen sind, ist auch nichts dagegen einzuwenden. Manchmal muss man auch Energie tanken, bevor man sich dem nächsten Thema stellt. Dann wird geshoppt was das Zeug hält, Sport oder auch Energieaufnahme im Übermaß betrieben – Maßlosigkeit in allen Belangen greift um sich. Alles ist erlaubt. Wirklich alles? Alles, außer unangenehme Emotionen zuzulassen. Diese sind fürs Social Life scheinbar nicht geeignet. Gibt höchstwahrscheinlich auch kein Like dafür. 
Im Gegenteil – Freunde sind schnell mal überfordert mit negativen Gefühlsausbrüchen – mitunter auch, weil sie selbst dadurch an ihre eigenen, verdrängten Emotionen erinnert werden. Wir leben zunehmend in einer Zeit, in der negative Gefühle (wie übrigens auch sozial nicht erwünschte Meinungen) verdrängt oder sogar negiert werden. Das Problem daran… sie sind trotzdem hier. Sie nagen im Verborgenen an uns – wie ein Vulkan füllt sich auch unser Inneres. Der Druck erhöht sich, es beginnt zu brodeln – vereinzelte, kleinere aber unerwartete Gefühlsausbrüche kündigen die eigentliche Katastrophe an. Was in normalen Zeiten mitunter sehr lange dauern kann, bis es soweit ist.

Der Shutdown beschleunigt diesen Prozess nun rasant. Es gibt weit weniger Möglichkeiten zur Ablenkung. Die Tage werden kürzer, das Licht und die Farben in der Natur weniger. Hinzu kommt die nun noch größere Isolation vieler Menschen, es gibt kaum Chancen körperlich und somit auch emotional positiv berührt zu werden. Jede körperliche (und eventuell auch emotionale) Berührung ist schließlich verbunden mit einem nur schwer zu bewertenden Risiko.

Der Druck in sehr vielen von uns steigt bedrohlich an. Das Bedürfnis, endlich Licht am Horizont zu sehen ist immens groß. Jedoch müssen wir zuerst unserem Dunkel begegnen. Das mag paradox klingen, aber vielleicht haben Sie auch schon die Erfahrung gemacht, dass Sie in vollkommener Dunkelheit besser sehen, als wenn Sie von irgendwo her ein Licht blendet. Automatisch werden Sie Ihren Blick von der Lichtquelle abwenden, um etwas mehr wahrnehmen zu können und nicht zu stolpern. Alles eine Frage der Fokussierung.

Erst wenn wir unseren Blick bewusst auf das Dunkel unseres Weges richten und uns deshalb keine Gefahr mehr droht, können wir unseren Kopf heben und die Sonne sehen. Vermutlich erst dann werden wir begreifen, dass diese Sonne schon immer hier – das Licht schon immer in uns war.

Corona gibt uns eine große Chance. Die Chance, unseren Weg ohne Ablenkung zu betrachten. Es wird Zeit uns dem zu stellen um anschließend unsere Augenachsen wieder parallel, Richtung Horizont auszurichten. Es wird Zeit, denn es dämmert bereits.

Vielleicht fragen Sie sich jetzt, warum ich diesem Artikel den Titel „Der kleine blaue, metallene Kuckuck“ gegeben habe. Nun, als ich heute auf dem Weg zu meinem wöchentlichen Coffee to Go war, konnte ich einen Jungen beobachten, der an der alten Kuckucksuhr (dem inoffiziellen Wahrzeichen Wiener Neustadts) stand und den kleinen blauen Kuckuck ganz fasziniert beobachtete. Wie ich einst vor vielen Jahren, lauschte er dem metallenen Klappern seiner Flügel und der „Kuckuck“ Rufe. Er zählte sie sogar mit. Für diesen Jungen war das in diesem Moment wohl das Größte, denn er strahlte übers ganze Gesicht. Das hat mich emotional berührt und ich bemerkte, dass ich ebenfalls lächelte.

Dieser kleine Junge hat mich mit seiner Faszination für den kleinen blauen, metallenen Kuckuck um ein warmes Gefühl reicher gemacht.
So einfach. So echt. Und ganz ohne Corona.