It’s all about emotions

Haben Sie schon einmal erlebt, dass Sie einem Menschen begegnet sind, der so viel Ausstrahlung – so viel Charisma besaß, dass ihm oder ihr scheinbar wie von selbst Sympathien entgegen gebracht wurden und sich Personen in seiner oder ihrer Umgebung äußerst wohl fühlten? Solche Menschen haben die Gabe zu inspirieren, sie bringen Mitmenschen dazu, ihre Flügel auszubreiten und den Wind darunter zu fühlen. Sie sind geborene Führungspersönlichkeiten.

Die Psychologie bezeichnet das Phänomen als charismatische Führung. Doch warum verfügt die eine Person über solch eine Ausstrahlung, während eine andere eher in der Menge untergeht? Wie kommt es zu einer so starken Faszination?

In meiner Arbeit beobachte ich häufig Menschen, die sich von ihren Gefühlen abgeschnitten haben. Unter bestimmten Bedingungen – in so genannten krank machenden Systemen – lernen wir zu funktionieren. Das bedeutet in erster Linie Aufgaben zu erledigen, Deadlines einzuhalten, möglichst fehlerfrei zu performen. Was zu Beginn durchaus als Selbstschutz seine Berechtigung hat, wirkt sich mittelfristig fatal aus.
Wir bemerken zuerst gar nicht, dass wir emotional verflachen – uns der Tiefgang fehlt. Wir kappen unsere Gefühle, weil es zu diesem Zeitpunkt zu sehr schmerzen würde, sie wahrzunehmen. Wir müssten Dinge in Frage stellen, an die wir uns gewöhnt, die wir vielleicht sogar im Laufe der Zeit lieb gewonnen haben. Mehr noch – wir müssten unter Umständen sogar unser bisheriges Leben hinterfragen. Die Gefahr, sich der eigenen Irrwege bewusst zu werden, ist viel zu groß. Der Schmerz der damit verbunden wäre, ebenso.
Die bekannte, unbefriedigende Oberflächlichkeit ist uns dabei oft lieber, als die noch unbekannte Tiefe. „Das geht schon irgendwie“ ist dabei eine typische Aussage. Ironischerweise wissen wir zu diesem Zeitpunkt bereits, dass wir uns auf dem falschen Weg befinden. Wir WISSEN es, aber wir FÜHLEN es noch zu wenig. Wie hoch ist die eigene Leidensfähigkeit? Wann haben wir genug? Die Spirale dreht sich unaufhaltsam nach unten. Eng wird es erst, wenn sich Frust und Sinnlosigkeit den Weg in unsere Seele bahnen und uns zwingen hinunter zu blicken.

Wenn wir einmal erkannt haben, dass der bisherige Weg nicht der eigene ist, ist die Entwicklung nicht mehr aufzuhalten. Der Frust lässt nicht mehr los, die Hoffnung, dass es Alternativen geben könnte, ebenso wenig. Es arbeitet, manchmal unbewusst, in unserem Inneren weiter und sabotiert alle scheinbar noch so schönen Erlebnisse. Der Frust, die Trauer überlagern alles. Wir fühlen uns unfrei und beengt.

Der Weg hinaus führt über das bewusste Zulassen dieser Emotionen. Dann erst spüren wir, um welche Art der Gefühle es sich überhaupt handelt. Dann erst können wir sie überhaupt benennen. Was jetzt vielleicht einfach klingt, ist in der Praxis sehr oft ein sehr steiniger Weg. Sich seiner Gefühle gegenüber zu öffnen, erfordert viel Mut und Vertrauen, denn Entwicklung findet grundsätzlich außerhalb der Komfortzone statt.

Die Panik davor, was unter der Oberfläche zum Vorschein kommen könnte, lähmt uns – macht uns handlungs- & entscheidungsunfähig. Dabei ist es interessant für mich zu beobachten, dass die Angst vor der Erkenntnis der eigenen Stärke oft mindestens ebenso groß ist wie die, der Erkenntnis der bisherigen Irrwege.

Starke, charismatische Persönlichkeiten konfrontieren sich selbst sehr oft mit den Tiefen ihrer Seele. Sie sind mutig in die Tiefe gesprungen und haben dabei bemerkt, dass sie Flügel haben und fliegen können. Ihnen unterlaufen ebenso Fehler, aber sie lassen sich davon nicht lähmen. Sie spüren sich – sie reflektieren – und erhalten dadurch eine Klarheit über ihr wahres Selbst. Sie erkennen die Essenz ihres eigenen Weges und gehen ihn. Weil sie fühlen, sind sie stark. Diese Reinheit ist still und kraftvoll zugleich und inspiriert Andere ebenso ihren Weg zu gehen.