Gedanken während einer Krise…

Geht es Ihnen auch so? Wenn ich spazieren gehe und die warmen Sonnenstrahlen um meine Nase tanzen, die Vögel fröhlich zwitschernd um die Wette fliegen, habe ich Zeit in mich zu gehen, meinen Gedanken Raum zu geben. Dadurch relativiert sich sehr viel in meinem Leben.

Ich habe es mir vor einigen Jahren zur Gewohnheit gemacht, den Weg zum Ziel zu machen. Mir Zeit zu leisten. Ab und zu Inne zu halten um die Natur zu beobachten. Das habe ich im Grunde schon als kleines Kind von meinem Großvater gelernt, der jede freie Minute im Garten verbracht und mir so manche Faszinationen der Tier- und Pflanzenwelt nähergebracht hat. Seither ist unsere Umwelt für mich persönlich eine der wichtigsten Ressourcen. Das Leben abseits der Menschheit ist so pur – so vielfältig und authentisch. So echt.

Seit Beginn der Coronakrise begebe ich mich öfters bewusst nach draußen. Ich brauche den Abstand um diese Vorkommnisse für mich erfassen zu können. Abwägen zu können, welche Auswirkungen das alles auf mein zukünftiges Leben haben wird. Auch, um dem ganzen „Drama“ die richtige Wertigkeit für mich persönlich geben zu können.

Beim Spazieren gehen lasse ich dann bewusst alles auf mich einrieseln was da kommt. Ein Gedanke oder ein Gefühl. Ich nehme alles an, sowie es kommt. Egal ob es zum Beispiel Glücksgefühle oder Gefühle der Verzweiflung sind.

Sehr oft ist es auch einfach eine Beobachtung, die meine Aufmerksamkeit fesselt. Dann ertappe ich mich üblicherweise nach einigenMinuten (oder waren es doch mehr?) dabei, dass ich mich scheinbar ganz in dieser Beobachtung verloren habe und dennoch mehr in mir angekommen bin. Ich (be-)werte nicht, ich denke nicht. Ich beobachte und bin trotzdem (oder vielleicht auch gerade deswegen) in genau diesem Moment Teil dieser Szenerie. Ich bin Akteur – nicht bloßer Statist. Ich fühle mich in die Natur eingebunden und dadurch geborgen. Diese Minuten sind für mich sehr wertvoll. Sie geben mir die Möglichkeit, allem um mich herum die für mich persönlich – richtige Wertigkeit beizumessen und frei durch zu atmen.

Wenn ich dann wieder „zu mir komme“, muss ich meistens Lächeln. Lächeln darüber, dass ich mich als „selbst-bewusster“ Mensch auch einmal vergessen darf, mich auch nicht so wichtig nehmen muss. Ich bemerke dann, dass ich im Alltagstrott oft der Natur oder vielleicht auch des puren Lebens ein Stück weit „entrückt“ bin – ich muss anscheinend in der Natur ankommen um mich als Teil von ihr zu fühlen.

Obwohl bereits ein paar Wochen seit den ersten Corona-Gegenmaßnahmen vergangen sind, fühlt es sich manchmal noch immer unwirklich an. Jeder/Jede Einzelne von uns ist konfrontiert mit individuellen – teilweise sehr langfristigen – Herausforderungen, seien es gesundheitliche, soziale oder wirtschaftliche. Wir alle spüren massive Einschränkungen unserer gewohnten Freiheit – die meisten in unserem Kulturkreis das erste Mal in Ihrem Leben. Manche fühlen sich dadurch sicherlich auch vom Leben abgeschnitten und einsam.

Diese Naturszenerie wirkt gerade deswegen auf mich gleichermaßen bizarr und beruhigend. Fauna und Flora sind logischerweise vollkommen unbeeindruckt von der Coronakrise, während die Menschheit einer der größten Herausforderungen gegenüber steht. Die Natur freilich hat ihre eigenen Probleme. Dieser eine Vogel, den ich, während ich diese Zeilen schreibe, beobachte – ein wunderschönes, hellgraues, Türkentäubchen, baut mit seinem Partner bereits zum vierten Mal innerhalb kurzer Zeit sein Nest. Der Wind hat die verwobenen Zweige während der letzten Wochen bereits drei Mal zerstört. Und dennoch… der Vogel stellt sich der Herausforderung ein weiteres Mal, weil es keine Alternative gibt.

Der Frühling kommt in großen Schritten auf uns zu – er lässt sich nicht aufhalten. Die Natur erwacht immer mehr aus ihrem Schlaf. Nach dem Grau der letzten Monate wird alles wieder bunter, kräftiger und lauter. Ist nicht genau das, das Leben? Langsam, aber stätig entwickelt sich alles und immer weiter. Schritt für Schritt.

Zum Leben gibt es eben keine Alternative.